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Seit einigen Jahren denke ich hin und wieder über die Situation der Psychotherapeuten in Ausbildung (PiA) – auch: Psychotherapeuten in Ausbeutung – nach und verfolge die weiteren Entwicklungen, die es jedoch kaum zu geben scheint. Seit vielen Jahren beklagen PiA die miserablen Bedingungen ihrer umfangreichen Ausbildung auf dem Weg zum Psychotherapeuten. Dabei durchlaufen sie diese 3-5-jährige Ausbildung nach Abschluss ihres Psychologiestudiums, wodurch sich die gesamte „Berufsausbildung“ zum Psychotherapeuten auf immerhin stolze 8-12 Jahre erstreckt. Das Besondere hieran: Die Ausbildung zum psychologischen Psychotherapeuten findet an privaten Instituten statt und kostet viel Geld (20.000 Euro und aufwärts). Bezahlt werden müssen die theoretischen Inhalte sowie Selbsterfahrungs- und Supervisionsanteile. Doch hiermit nicht genug. Ein nicht unerheblicher Teil der Ausbildung, die sog. „praktische Tätigkeit“, die in Psychiatrien und psychosomatisch ausgerichteten Kliniken (immerhin 1800 Stunden – 1-1,5 Jahre) absolviert wird, als einer der Pflichtbausteine der Ausbildung, wird von den Kliniken, in denen die PiA tätig sind, nicht oder nur sehr gering vergütet. In Ausnahmefällen erhält der Psychologe bis zu 1500 Euro brutto für Vollzeitarbeit, in der Regel jedoch überwiegen „Praktikumsvergütungen“ in Höhe von 0-500 Euro monatlich. Mit einer Berufsausbildung, wie wir sie üblicherweise kennen, in der der Auszubildende ein Gehalt erhält, hat dies nur wenig zu tun. Mir ist keine weitere Berufsbranche bekannt, in welcher eine vergleichbare Situation herrschen würde.
Doch wie kommt es zu dieser absurden Situation, die sich seit langer Zeit nicht verändert hat?
Mit Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes 1999 wurde eine gesetzliche Grundlage für die Ausübung und deren Voraussetzungen von Psychotherapie durch nichtärztliche Psychotherapeuten geschaffen. Zuvor durften im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherungsversorgung lediglich Ärzte Psychotherapie durchführen. Das Gesetz beinhaltet auch die Anforderung der Absolvierung der genannten praktischen Tätigkeit im Rahmen der Ausbildung, macht jedoch keine Aussage zu deren Vergütung und arbeitsrechtlichen Einordnung. Diese Gesetzeslücke nutzen seither Kliniken insofern, als dass sie PiA als preisgünstigere oder gar kostenlose Arbeitskräfte einsetzen und hierdurch auch Kosten für Planstellen „einsparen“. Dies tun sie unter dem Deckmantel des „Praktikantenstatusses“ der PiA insofern, als dass auf dem Papier der Ausbildungszweck der Tätigkeit unter fachlicher Anleitung festgehalten wird, während die Realität für PiA meistens ganz anders aussieht. Die meisten PiA werden eingesetzt für übliche psychologische und psychotherapeutische Tätigkeiten der Behandlung in Einzel- und Gruppentherapie, der Testdiagnostik und für Tätigkeiten des dazugehörigen Schriftverkehrs, wie diese sonst auch von angestellten Psychologen oder Psychotherapeuten durchgeführt werden. Nur wenige PiA werden als Praktikanten ohne Verantwortung und ohne Durchführung der qualifizierten Tätigkeiten eingesetzt. PiA sind sich einig: Die gelebte praktische Tätigkeit geht über das ursprünglich definierte Ziel, „Krankheitsbilder kennenzulernen“ hinaus und wird zur regulären Pflichtversorgung psychiatrischer und psychosomatischer Patienten missbraucht. Deswegen protestieren und demonstrieren sie und schreiben Petitionen. In der Presse wurde mehrfach über die Situation berichtet.
Wenige PiA haben inzwischen Gerichtsurteile erstritten und ein ordnungsgemäßes Gehalt für ihre Arbeitstätigkeit eingeklagt. Eine von ihnen war ich. Die Gerichte stellten dabei im für PiA Erfolgsfall das fest, was unter PiA längst bekannt ist und den Arbeitsalltag der PiA widerspiegelt, nämlich, dass der Ausbildungszweck nicht deutlich den für den Betrieb erbrachten Leistungen und Arbeitsergebnissen überwiegt, wie es aber bei einem Praktikantenstatus, der seinen Namen „verdient“, notwendig wäre, sodass das unentgeltliche Tätigwerden der Arbeitnehmer juristisch als „sittenwidrig“ eingeordnet wird mit der Folge, dass nachträglich die geschuldete Vergütung erstattet werden muss. Diese Gerichtsurteile stellen dabei Einzelfallentscheidungen und keine allgemeingültigen Regelungen für die PiA dar. Manche PiA haben ihren geführten Rechtsstreit auch verloren; in diesen Fällen wurde ein Überwiegen des Ausbildungszwecks gegenüber den für die Klinik wirtschaftlich verwertbaren Leistungen im Rahmen der Tätigkeit angenommen.
Doch wenig hat sich in der Praxis in den letzten Jahren geändert. An manchen Stellen wurde die „Praktikumsvergütung“ ein wenig erhöht. Es gibt es einzelne Berichte von Kliniken, die dazu übergegangen seien, überhaupt keine PiA mehr zu „beschäftigen“. So auch in der Klinik, in der ich gearbeitet hatte und nachträglich mein Gehalt mit Erfolg eingeklagt habe. Der Verzicht auf die Ausbeutung der PiA aufgrund der Sorge um nachträgliche Regressforderungen scheint jedoch derzeit eher noch die große Ausnahme darzustellen. Nach wie vor profitieren Klinikkonzerne von den Einsparungen durch Einsatz von PiA.
Wieso ist das immer noch so?
Ein Teil der Antwort auf diese Frage liegt, da sind sich PiA einig, in den nicht vorhandenen gesetzlichen Regelungen über die Vergütung und über den arbeitsrechtlichen Status der PiA im Rahmen der Absolvierung ihres „praktischen Jahres“. Gefordert wird eine Behandlung inkl. Vergütung analog zur Situation von Assistenzärzten in deren Weiterbildung zum Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie.
Doch das scheint nur ein Teil der Antwort zu sein.
Als ich im Jahr 2014 den lang andauernden Rechtsstreit gegen die Klinik, in der ich einen Teil meiner praktischen Tätigkeit absolviert hatte, endlich rechtskräftig gewonnen hatte, entschloss ich mich in Kooperation mit politisch aktiven PiA diese Gegebenheit unter Verzicht auf Anonymität publik zu machen. Nur ganz wenige andere „Fälle“ waren und sind überhaupt in Kenntnis der „Leidensgenossen“ geraten. Ich jedoch war fest überzeugt, dass es sinnvoll und notwendig ist, den Erfolg vor Gericht nicht für sich selbst zu behalten, sondern andere PiA hierdurch vielmehr zu ermutigen, ebenfalls rechtliche Schritte zu gehen. Zwar schien die Freude darüber, dass nun endlich einmal und sogar seitens des Rechtsstaats eine Anerkennung für die Leistungen der PiA deutlich gemacht wird, groß und manch ein PiA kontaktierte mich und ich unterstütze daraufhin zwei meiner Kollegen im Rahmen meiner Möglichkeit bei deren rechtlichen Schritten. Auch hatte ich die Misere der PiA bei (älteren) Berufskollegen weiter publik gemacht, die zum Teil hierüber gar nicht informiert waren.
Den Klageweg gegangen sind meiner Kenntnis nach jedoch letztendlich nur sehr wenige PiA. Hingegen deutlich vernehmbar sind seit vielen Jahren die Protest- und Demonstrations-Aktionen sowie das Verfassen von Petitionen oder Schreiben an Regierungsverantwortliche der PiA, zumindest der politisch Aktiven. Auch gibt es einen relativ breiten Konsens innerhalb der PiA-Gruppe über die Ausbeutungssituation. Nur sehr wenige PiA äußern, dass sie die Bedingungen, wie sie sind, so akzeptabel finden und meinen, es liege vor allem am Individuum, sich nur genug anzustrengen, um das Beste aus der Situation zu machen. Die meisten PiA aber sehen sich eher in der Opferrolle. Als „Täter“ wurden dabei lange Zeit die Kliniken angeprangert, mittlerweile erkennt man zunehmend, dass auch die privaten Ausbildungsinstitute einen aufrechterhaltenen Anteil an der Gesamtsituation haben. Diese setzten sich nämlich nicht für die Rechte der PiA ein, die Kooperationsverträge mit den Kliniken werden beibehalten, Verhandlungen über andere Bedingungen finden nicht statt. Auch wird ihnen vorgeworfen, dass sie von der Situation profitieren, weil sie mit der Ausbildung zum Psychotherapeuten finanziellen Gewinn erzielen, der zum Teil ebenfalls als unangemessen wahrgenommen wird. Kritisiert wird, dass zu hohe Anteile für Verwaltungs- und Raumkosten in Rechnung gestellt werden und Ähnliches.
Ich meine, zu einer Ausbeutungssituation gehören natürlich wie in jeder Beziehung immer zwei Parts, hier der Ausbeuter und derjenige, der sich ausbeuten lässt. Dabei muss man auch ehrlich betrachten, dass die vielen Demos zwar ehrenwert und sicher auch nicht sinnlos sind, da sie allein eine gewisse Aufmerksamkeit seitens der Öffentlichkeit und natürlich des Gesetzgebers bewirken, aber schlussendlich inkonsequent bleiben. Wenn man gleichzeitig die eigene schwierige Situation beklagt, sie aber weiter aufrechterhält, indem man sich ihr letztendlich fügt, braucht man keine Veränderung durch Einsicht oder Mitgefühl seitens der Ausbeuter erwarten.
Dass dies so läuft hat natürlich Gründe. Es ist berechtigt, seinen Berufswunsch in die Realität umsetzen zu wollen. Man muss feststellen, dass dieser bei den PiA so stark ausgeprägt ist und verhaltensmotivierend wirkt, dass die schlechten Bedingungen in Kauf genommen werden.
Ein PiA fasste das eben Dargestellte etwas überspitzt und vermutlich auch genervt so zusammen:“ Wenn keiner unter E13 [Tarifeingruppierung für Psychologen nach TVÖD] arbeiten geht, hat auch die letzte Rehaklitsche die Wahl zwischen E13 und Zusperren, sobald die Kostenträger davon Wind bekommen, dass dort keine Psychologen arbeiten. In unserer egoistischen Ellbogengesellschaft gibt es ganz einfach viel zu viele PiAs, die ihr Geld von Eltern/Ehemann/Freund/Hartz4 bekommen und gewissenlos die Arbeitsbedingungen durch ihr Lohndumping ruinieren, um für sich selbst möglichst konfliktfrei den Vorteil (Approbation) zu erlangen. Wer hier nicht konsequent bei sich selbst anfängt, lügt sich mit Protesten, seinem Herumheulen und so weiter doch nur in die eigene Tasche. “
In die Liste Eltern/Ehemann/Freund/Hartz4 noch einzureihen wären auch noch Bildungskredite, die von nicht wenigen PiA aufgenommen werden.
Weibliche Bescheidenheit und das Verharren in der zweiten Reihe
Psychotherapeut*in ist der Traumberuf vieler engagierter Frauen. Das Berufsfeld scheint für diese sehr interessant und befriedigend. Befriedigend ist es auch, Menschen helfen zu können, manch einer meint, dies entspreche der Psyche einer Frau, hierzu später noch mehr. Der Bedarf an Psychotherapeuten ist enorm hoch, es gibt ellenlange Wartelisten und gute Verdienstmöglichkeiten nach der „Durststrecke“ der Ausbildung und einem teuer eingekauften Kassensitz. „Lebe Deinen Traum“ sagte jemand. Geht der Berufswunsch Psychotherapeut tatsächlich mehr noch als viele andere einher mit einem Wunsch nach Selbstverwirklichung? Wenn man PiA danach fragt, geben die meisten tatsächlich an, dass Psychotherapeut ihr absoluter Traumberuf sei. Nicht wenige, aber nicht die meisten PiA scheinen eher im instrumentellen Sinne an die Sache heranzugehen und einen zusätzlichen, karrierefördernden Titel erwerben zu wollen. Die Motive und Bedürfnisse, die im Zusammenhang mit diesem Berufswunsch stehen, sind sicherlich vielfältig und unterscheiden sich in ihrer Bedeutsamkeit interindividuell. Von Bedeutung sein kann der schon angesprochene Wunsch zu helfen, sich hierbei auch als einflussreich und selbstwirksam sowie als „gute Seele“ erleben zu können. Relevant sein können auch Bedürfnisse in Richtung Selbsterfahrung oder gar Selbstheilung. Was auch immer die spezifischen Bedürfnisse und Wünsche sind, scheinen sie jedenfalls so stark ausgeprägt zu sein, dass die lange entbehrende Zeit hierfür in Kauf genommen wird, während Menschen in anderen Berufszweigen schon zu einem früheren Zeitpunkt darauf schauen können, an Geld zu kommen. Die spannende Frage, die sich stellt lautet doch: Wären beispielsweise Juristen, Ärzte, Bankkaufleute oder andere bereit, ca. 8-12 Jahre im Rahmen ihrer Ausbildung nach ihrem Schulabschluss kein oder nur wenig Geld zu verdienen, sodass sie sich nicht eigenständig ernähren / ihren Lebensunterhalt nicht eigenständig bestreiten könnten? Das wissen wir nicht, können nur darüber mutmaßen.
Immer wieder wird geäußert, Psychologen seien generell überangepasst, ehrgeizig, nett und konfliktvermeidend. Mein persönlicher Eindruck ist auch, dass dies häufig zutrifft. Ob nun mehr, als in anderen Berufsgruppen, bleibt letztendlich dennoch spekulativ. Ein hiermit verbundener Gedanke führte manch einen auch zu der Annahme, es handele sich bei der PiA-Ausbeutungssituation um ein Gender-Problem. Gefühlte 90% der PiA sind weiblich. In diesem Sinne seien Frauen zu schnell bereit, sich ausbeuten zu lassen, um einer sozialen Tätigkeit nachgehen zu können. Sich-Ausbeuten-Lassen und Helfen-Wollen wäre dann die „ideale“ Kombination weiblicher Mechanismen zur Aufrechterhaltung des Systems.
In der Debatte schrieb jemand: „Ich verstehe den weiblichen Masochismus nicht, dieses perfekte Über-ich, sie müssen ziemlich große Zukunftsängste habe. Eigentlich fallen sie den Kommilitonen in den Rücken mit ihrem Anpassungsverhalten (weiblich?), und am Ende gibt es nur Psychologische Psychotherapeutinnen mit Daddy’s großer Ärztebrieftasche! Und die Arbeitgeber bzw. die Kliniken lachen sich tot. Ich kann keinem Mann das vor weiblicher Angst vorangetriebene Rattenrennen in der Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten empfehlen, nach der Ausbildung geht es wahrscheinlich dann weiter…Welcher Beruf, in dem Frauen dominieren, ist denn gut vergütet? Es ist einfach ein Schuss ins Knie, dass so viele Frauen Psychologie studieren und Psychologischer Psychotherapeutinnen werden wollen! Auf den Trichter kommt man sehr schnell wenn man als Mann Psychologie studiert.“
Oder muss man die Situation gesamtgesellschaftlich betrachten? Ist psychologische Psychotherapie letztlich gesellschaftlich so wenig wertgeschätzt, wie andere soziale Berufe auch? Und gerade im Vergleich zum Arztberuf: Wird diesem nicht viel mehr Kompetenz, Seriosität und Bedeutsamkeit zugeschrieben? Und wenn ja, liegt dies nicht dann nun auch wieder vor allem an der (schlechten) „Selbstvermarktung“ der Psychologen und Psychotherapeuten? Liegt es nicht nun auch wieder vor allem daran, dass man für den eigenen Berufsstand nicht konsequent und selbstbewusst genug die ihm gebührende Behandlung einfordert?
Ich meine schon. Mein Gefühl ist, wir Psychologen sind von einem – gerade im vorgenommenen Vergleich zu Ärzten – Minderwertigkeitserleben geplagt, das aber zusätzlich durch das unausgesprochene, subtile Beharren der Ärzteschaft auf ihrer Überlegenheitsposition aufrechterhalten wird. Unsere gefühlte Unterlegenheit zeigt sich dabei nicht nur im Bereich der PiA-Situation. Vor Gericht beispielsweise tolerieren wir, dass nur Ärzte für die Erstellung von Schuldunfähigkeitsgutachten eingesetzt werden und sind dankbar, dass wir auch „mitmachen“ dürfen und andere Arten der Gutachten erstellen. Immerhin etwas. In der psychologischen Forschung versucht man immer mehr zu (neuro) – biologisieren und hat die Psychologie längst als Naturwissenschaft etabliert, als müsste man immer noch die Wissenschaftlichkeit und Seriosität der gesamten Disziplin unter Beweis stellen. In diesem Sinne grenzt man sich an den Universitäten von der vermeintlich unwissenschaftlichen Psychoanalyse ab, als ob diese eine „dunkle Vergangenheit“ der Psychologie (allerdings dann auch der Medizin) darstellen würde, ohne deren Verdienste zu würdigen oder sie in irgendeiner nicht abwertenden Art in der Lehre zu thematisieren. Nein, natürlich fühlen sich nicht alle Psychologen minderwertig, nicht alle Ärzte überlegen, es geht nicht um die individuelle Ebene. Psychologen und Ärzte arbeiten vielfach sehr kollegial, gewinnbringend, fruchtbar miteinander, ohne in spürbare Konkurrenz zu treten, und das ist gut so. Auf der unausgesprochenen Großen-Ganzen – „Makroebene“ jedoch meine ich ist das „zweite Reihe“-Gefühl, vor allem in der klinischen Psychologie und Psychotherapie, nach wie vor existent.
Denn wo sind die Berufsverbände und die jüngeren und älteren Berufskollegen, die für ihren Nachwuchs angemessene Bedingungen fordern und durchsetzen? Manche von ihnen lehren an einem Ausbildungsinstitut, das sie gut bezahlt oder sie leiten gar eines. Oder sie sitzen endlich im Therapeutensessel und wollen von all dem nur noch ihre Ruhe haben.
Der Berufsverband deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) kommt bereits im Jahr 2005 zu folgender Einschätzung:
„Bei der jetzigen Diskussion um den Entwurf einer Musterberufsordnung wurde u.a. vorgeschlagen, das Finanzierungsproblem der PiA während der praktischen Tätigkeit mit aufzunehmen und in Anlehnung an die Berufsordnung der Ärzte folgenden Punkt einzufügen: „Es ist berufsunwürdig, eine Kollegin oder Kollegen aus ihrer oder seiner Behandlungstätigkeit oder als Mitbewerberin oder Mitbewerber um eine berufliche Tätigkeit durch unlautere Handlungen zu verdrängen. Es ist ebenso berufsunwürdig, in unlauterer Weise eine Kollegin oder einen Kollegen ohne angemessene Vergütung oder unentgeltlich zu beschäftigen oder eine solche Beschäftigung zu bewirken oder zu dulden. Dies gilt auch für PiA.“
Die Aufnahme eines solchen Punktes unter Einbeziehung der PiA wurde allgemein nicht befürwortet. Die Konsequenz wäre gewesen, dass ein Psychotherapeut in einer Klinik einen PiA nicht mehr hätte anleiten dürfen, wenn der PiA für seine Tätigkeit nicht vergütet worden wäre. Unter den gegebenen Verhältnissen wären damit über die Hälfte aller PiA-Stellen in den Kliniken entfallen, wäre die Ausbildung zum Psychotherapeuten zusammen gebrochen. Wir würden uns damit langfristig aus der psychotherapeutischen Versorgung verabschieden. Dies erscheint nicht als ein sinnvoller Weg, das finanzielle Problem des Psychiatriejahres zu lösen.
Die Bemühungen des BDP, für die PiA bessere Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen zu erreichen, haben bisher keine Früchte getragen. Bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass die Forderung nach einer tariflichen Eingruppierung der PiA bezogen auf das Psychiatriejahr zu kurzsichtig formuliert ist. So sehr man es sich auch wünschen mag, eine Realisierung dieser Forderung ist aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich. So kann es nicht gehen. So wie es jetzt ist, kann es aber auch nicht bleiben. Die Lösung kann nur darin bestehen, die gesamte Ausbildung zum Psychotherapeuten auf den Prüfstand zu stellen und die vielfältigen Widersprüche und Missstände aufzulösen. Dabei entsteht die Idee, das Psychiatriejahr generell abzuschaffen und auf neue Weise in die Ausbildung zum Psychotherapeuten zu integrieren.“
und demonstriert damit aus meiner Sicht genau das eben Dargelegte: Man hat große Angst, sich „aus der psychotherapeutischen Versorgung“ zu verabschieden, „zusammenzubrechen“ und hält eine angemessene Finanzierung des praktischen Jahrs für sehr unwahrscheinlich, dachte sogar eher über eine generelle Abschaffung nach.
Die Überlegungen des BDP demonstrieren geradezu den fehlenden Mut zur Konsequenz, der letztendlich auf die thematisierte Angst und auf die Akzeptanz der Rolle in der zweiten Reihe zurückzuführen ist.
Nicht anders sind auch die ängstlichen Kurzschlussreaktionen mancher PiA zu verstehen, welche sich schon heraufkatastrophisieren, künftig in psychiatrischen Kliniken überhaupt keinen Platz mehr zu haben, weil eine handvoll PiA gerichtlich erfolgreich gegen die beklagte Ausbeutung vorgegangen ist. Befürchtet wird, die psychiatrischen Kliniken würden künftig dann ganz auf die „Einstellung“ von PiA verzichten. Es wird aber nicht soweit gedacht, dass wenn man dieses Szenario konsequent zu Ende denkt, bei flächendeckendem Verzicht auf die psychiatrische Einstellung/Ausbildung von PiA eine gesellschaftliche Situation entstehen würde, die erst den Druck für politische Veränderungen auslöst. Der katastrophisierende Gedanke wird nicht im Sinne von „was wäre schlimmstenfalls zu befürchten?“ zu Ende gedacht. ‚Keine PiAs mehr in Kliniken‘ würde zwangsläufig bedeuten, dass keine Approbationen nach Psychotherapeutengesetz und enthaltener Ausbildungsregelung mehr erworben werden können. Es könnten keine neuen Psychotherapeuten mehr ausgebildet werden. Und an diesem Punkt würde sich die Frage stellen: Was ist der Gesellschaft die Existenz von psychologischen Psychotherapeuten wert? Spätestens an diesem Punkt wäre die Politik gezwungen, gesetzliche Änderungen vorzunehmen.
Doch was nützt das dem Einzelnen, der jetzt und möglichst schnell seine Ausbildung absolvieren möchte? Nicht viel. Er müsste warten. Es handelt sich jedoch um eine utopische Situation, die schon aufgrund der unterlassenen Konsequenz der PiA, die nachvollziehbar, aber eben auch bedeutsam ist, nicht eintreten wird.
Das im oben genannten Zitat erwähnte „vor weiblicher Angst vorangetriebene Rattenrennen“ scheint mir nicht ganz abwegig. Die Situation der PiA ist eine Situation, die psychologisch dadurch gekennzeichnet ist, dass man „durchhält“, über eigene Grenzen geht und Angst hat, es nicht zu schaffen und dann „gar nichts“ mehr hat, arbeitslos zu sein. Denn von Bedeutung ist hier auch: Als studierter Psychologe scheinen kaum Berufsmöglichkeiten vorhanden, schon gar nicht im klinischen Bereich, auf welchen man sich spezialisiert hat. Ein Diplom (jetzt Master) scheint nicht mehr viel Wert. Anstatt diese Situation kritisch in Frage zu stellen, beißt man sich durch eine Zeit voller Entbehrungen und Druck, um dann –endlich angekommen in der Therapeutenrolle – mit all dem „Elend“ verständlicherweise nichts mehr zu tun haben zu wollen und sich endlich als angekommen, sicher und auch als anerkannt erleben zu können und sich dann auch von den weniger qualifizierten Psychologen abzugrenzen. Die entbehrende, ungesunde Situation während der Ausbildungszeit lässt sich nur kurzfristig durchstehen. Sie bleibt dabei aber nicht folgenlos, weder für die PiA, noch für die Patienten, die in vielen psychiatrischen Kliniken auf ein Minimum „herunterbehandelt“ werden. Wie sollen Patienten von unter Druck stehenden Berufsanfängern, die kostengünstig anstelle von Planstellen eingesetzt werden, angemessen versorgt werden? Dabei kommt ihnen aber immerhin die häufig hohe Motivation und Gewissenhaftigkeit der PiA zu Gute, von der auch die Kliniken in vielerlei Hinsicht profitieren. PiA weisen im Übrigen erhöhte Stresswerte und eine geringe psychische Widerstandsfähigkeit bei zugleich hohem Arbeitsengagement auf (Engel et al., 2015).
Die unterlegene Position im Vergleich zu den Ärzten hat sich mittlerweile in den Köpfen festgesetzt. In diesem Sinne ist man inzwischen sogar dankbar, wenn man immerhin ein halbes Gehalt für volle Arbeit in einigen psychiatrischen Kliniken erhält. Immerhin etwas. Unausgesprochen bleibt jedoch dann auch eine höhere Erwartungshaltung an diese „priviligierten“ PiA, die dann noch mehr „arbeiten“ müssen, als sie es ohnehin tun. In diesem Sinne wäre ich auch nicht verwundert darüber, dass im Rahmen einer möglichen Reformierung der Ausbildung zum Psychotherapeuten zwar auch eine höhere Vergütung der PiA erzielt wird, welche aber immer noch deutlich hinter der der Assistenzärzte zurückbleibt. Man wird dann wieder froh sein, überhaupt etwas zu bekommen. Immerhin etwas.
In einem Kommentar bei Ärztezeitung.de schrieb die ärztliche Direktorin der Rheinhessen Klinik Alzey PD Dr. Anke Brockhaus-Dumke:
„Für die Ausbildung von künftigen psychologischen Psychotherapeuten ist die praktische Erfahrung in der Arbeit mit psychisch kranken Menschen unabdingbar. Diese kann in qualitativ hochwertiger Form v.a. in psychiatrischen Kliniken erworben werden, in denen Menschen mit dem ganzen Spektrum psychiatrischer Störungen behandelt werden. Nachvollziehbar ist der Wunsch nach einer Neuregelung der kostenintensiven Ausbildung zum psychologischen Psychotherapeuten. Hinsichtlich der Gleichstellung mit Assistenzärzten in Weiterbildung zum Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie ist jedoch zu bedenken, dass die Aufgaben und Verantwortungsbereiche nicht identisch sind. Psychologen sind nicht ausgebildet für die Diagnostik und Mitbehandlung somatischer Erkrankungen, die nicht selten auch Ursache psychischer Störungen sind, ebenso wenig für die Verordnung von Medikamenten und die Beteiligung an dem Bereitschaftsdienst, der eine ärztlich-medizinische Qualifikation zur Sicherstellung der medizinischen Notfallversorgung erfordert. Es sind also vielfältige Änderungen der Organisation, der Kenntnisse bzw. Verantwortlichkeit erforderlich, bevor eine Gleichstellung angemessen wäre.
Falsch ist die Behauptung in obigem Artikel, dass die psychiatrischen Kliniken die Tätigkeit der Psychologischen Psychotherapeuten in Ausbildung mit den Krankenkassen abrechnen könnten. Weder in der „alten“ Abrechnung (Tagespflegesätze) noch nach „neuer“ Abrechnung (Tagespauschaliertes Entgelt PEPP) ist dies möglich. Nur bei voll finanzierten Stellen erfolgt überhaupt eine Leistungsvergütung im PEPP-System, diese deckt jedoch die Kosten nicht. Darüber hinaus haben die Kliniken einen Ausbildungsaufwand durch Supervision und Anleitung der PPiA. Eine angemessene Refinanzierung des Ausbildungsaufwandes und der psychotherapeutischen Leistungen der PPiA (ggfs. gestaffelt nach Ausbildungsstand, da die meisten PPiA ohne wesentliche therapeutische Kenntnisse direkt nach Abschluss des Psychologiestudiums ihre praktische Ausbildungsphase beginnen) sind weitere Voraussetzungen dafür, dass die Kliniken eine volle Vergütung zahlen können.
Sollte es bei einer Neuregelung der Psychotherapeuten-Ausbildung jedoch zu einem Verzicht auf die klinische Ausbildung kommen, würde dies zu einer deutlichen Qualitätsverschlechterung der Ausbildung führen.“
und vergaß in ihrem – in Teilen ja zutreffenden, aber unvollständigen – Vergleich zwischen Psychologen und Assistenzärzten den Mangel an „wesentlichen therapeutischen Kenntnissen direkt nach Abschluss des Psychologiestudiums“ mit den diesbzgl. Kenntnissen der Ärzte direkt nach Abschluss des Medizinstudiums zu vergleichen.
Man könnte fast sagen: „Das ist aber frech.“…haben viele von uns doch schon die ein oder andere Erfahrung mit der Uni frisch entsprungenen Assistenzärzten in der psychiatrischen Klinik gesammelt. Ein solches Konkurrieren über Kenntnisse nach den jeweiligen Studiengängen aber scheint mir nicht sinnvoll. Sinnvoller scheint – möchte man Lohngerechtigkeit gestalten – die Betrachtung von Verantwortungsbereichen, wobei mir hier lediglich der Aspekt des Bereitschaftsdienstes, der eine höhere Flexibilität in Bezug auf die Arbeitszeitgestaltung erfordert, maßgeblich scheint. Wer aber die Verordnung von Medikamenten hingegen als bedeutsamer gewichten möchte als beispielsweise die Durchführung von Testdiagnostik durch Psychologen der öffnet Tür und Tor für weiteres Konkurrenzgebaren, das nirgendwo hinführt außer in Grabenkämpfe. Dass man in Psychiatrien neuerdings psychische Krankheit als häufig somatisch bedingt betrachtet und mitbehandelt, ist mir ganz neu, dürfte auch den allermeisten Patienten fremd geblieben sein.
Ein Neuwagen und eine Wohnung im Prenzlauer-Berg
Zu allem Überfluss sind die sich beschwerenden PiA zum Teil auch noch mit Vorwürfen konfrontiert, sie jammerten auf hohem Niveau und ihre einzigartige merkwürdige Situation wird von der Öffentlichkeit häufig überhaupt nicht erkannt und begriffen. Für PiA ist es immer wieder schwierig, fachfremden Menschen diese Situation näherzubringen. Menschen können die PiA-Situation schlichtweg nicht einordnen, da sie ihnen unbekannt, zuvor noch nie begegnet ist. Auch werden neue Gebiete der Konkurrenz eröffnet: darum, wem es am Schlechtesten geht und es werden hierzu die späteren sicheren und idealen Berufsbedingungen von Psychotherapeuten im Vergleich zu anderen – vor allem sozialen – Berufen herangezogen.
In diesem Sinne wurde beispielsweise mir gegenüber im Rahmen der Kommentierung eines SPIEGEL-Interviews wie folgt Stellung bezogen:
„ Für Mädels mit einer so geringen Frustrationstoleranz ist das vlt. eh der verkehrte Beruf. Wer nicht an den Ort der Ausbildung ziehen mag, sondern meint, ohne Ausbildung ein (nagelneues) Auto betreiben zu müssen und mtl. 200 EUR Benzingeld zu zahlen und eine Wohnung im „angesagten“ Berlin Prenzl.Berg – um dann über zu hohe Ausgaben zu jammern, der sollte erstmal einen Rechenkurs vorschalten. Weshalb ist die junge Dame der Meinung, dass sie in der Ausbildung fürstlich bezahlt werden muss? Anspruchsdenken trifft reality-check.“
Dabei ist es mühsam und eigentlich auch überflüssig zu erklären, dass das nagelneue Auto ein geleaster Kleinwagen war, notwendig, um vom damals noch bezahlbaren Prenzlauer Berg (1-Zimmer-Wohung für 340,00 Euro) überhaupt zum Arbeitsplatz in der brandenburgischen Idylle, die nicht an den öffentlichen Nahverkehr angeschlossen war, zu gelangen. Überflüssig, da in einer derartigen Denkweise und Wahrnehmung natürlich immer „Indizien“ gefunden werden können, die belegen, dass das Individuum nicht „tough“ und bescheiden genug ist. Einzelfälle oder doch eine neue gesellschaftliche „Härte“?
Besonders erschrocken hat mich, dass selbst in PiA-Kreisen eigens betroffene PiA Dinge wie diese äußern:
„Wenn man Mühe in gute Noten, relevante Praxiserfahrung, evtl. eine Promotion etc. steckt, bieten sich [als PiA] genug Möglichkeiten.“
Aussagen wie diese rechtfertigen die ausbeuterische Situation und suggerieren, dass es vor allem am Subjekt liege, die schwierige Situation aktiv und selbstbestimmt zu meistern. Darüber hinaus sind sie auch schlichtweg nicht zutreffend. In der Praxis sind es gerade nicht die Noten, ist es gerade nicht in erster Linie die Kompetenz, die hauptsächlich darüber entscheiden würde, ob man die Ausbeutung erfolgreich meistert. Es sind auch Eigenschaften der Anpassungsbereitschaft und –fähigkeit, auch der Durchhaltefähigkeit, Eigenschaften, die in gewissem Maße sicherlich und auch in anderen Berufsfeldern notwendig und hilfreich sind, aber eben in diesem hier geforderten Ausmaß auch gesundheitsgefährdend und dem Gesundheitssystem im psychiatrischen Bereich insgesamt Schaden zufügend, nicht nur, weil Patienten hierunter zu leiden haben, sondern auch deshalb, da bereits ausgebildete Psychotherapeuten im „Wettbewerb“ um Anstellungsverhältnisse – so absurd dies auch ist – im Vergleich zu PiA das Nachsehen haben. Das massive Einsparungspotential schlägt- ganz im Sinne der generellen Ökonomisierung im Gesundheitssystem – Erfahrung und Qualifikation und dies – man kann es nicht oft genug betonen – auf Kosten von sehr bedürftigen, kranken Menschen. Dass die Situation für PiA selber gesundheitsgefährdend ist, offenbart einer Absurdität, die ihresgleichen sucht. Während die PiA im Stationsalltag damit beschäftigt sind, ihren Patienten näherzubringen, mehr Selbstfürsorge zu entwickeln, sich dem gesellschaftlichen Leistungsdruck nicht zu sehr zu fügen und mehr zu ruhen, tun sie selbst genau das Gegenteil von dem. Damit man das selber nicht allzu komisch empfindet, verdrängt man, was das Zeug hält. Und wer möchte schon gerne zugeben, dass die eigene Leistung vielleicht zur angemessenen Versorgung schwer kranker Menschen nicht ausreicht?
Dass PiA nicht die einzige Gruppe Arbeitnehmer sind, die auf dem Arbeitsmarkt prekär beschäftigt sind, ist jedem, der einen diesbezüglichen gesellschaftlichen Verfall an Lohndumping und Arbeitnehmerausbeutung generell zu beobachten in der Lage ist, bewusst. Aber sie sind eine von ihnen. Und deshalb dürfen sie darüber klagen.
Literatur:
1 Engel MC, Jacobs I, Fydrich T, Ziegler M: Belastungserleben von Psychotherapeuten in Ausbildung. Psychotherapeut, published online 04.09.2015, DOI 0.1007/s00278–015–0055–2.
Auf den Punkt!
Eine gute Darstellung der gegenwärtigen Situation. Grabenkämpfe zwischen psychotherapeutisch tätigen Ärzten und Psychologen sind hier nicht zielführend. Problematisch ist m. E. die hohe Zahl an Psychologie-Studierenden, die geradezu inflationär anmutet (bspw. via Fernuni Hagen!). Es wird insgesamt vermutlich deutlich über Bedarf ausgebildet. Eine Verknappung könnte hier den Marktwert und damit die Verhandlungsposition des Einzelnen bspw. bezüglich einer PiA-Stelle deutlich stärken. (Hälftige) Zulassungen als PsychotherapeutIn sind derzeit noch verfügbar und mit dem Refinanzierungsaufwand von wenigen Quartalsumsätzen auch immer noch recht erschwinglich. Mir stellt sich die allerdings die Frage, wo danach die vielen psychotherapeutischen Kollegen bleiben werden, wenn der Markt in einigen Jahren „gesättigt“ ist.
Danke für Ihren Input, diesen Inhalt habe ich schon einmal gelesen, vielleicht ja sogar von Ihnen. Ich halte ihn nicht für zutreffend, da der reale Bedarf an Psychotherapeuten höher ist, als niedergelassene Psychotherapeuten Kassensitze erhalten können und somit verfügbar sind. Der Bedarf wird vermutlich aufgrund gesamtgesellschaftlicher Verhältnisse auch zunächst nicht sinken. Psychologie ist meines Wissens nach an den Universitäten in Deutschland nach wie vor zulassungsbeschränkt und die Plätze limitiert. Was genau meinen Sie mit der Hagener-Situation?
Ein Psychologiestudium an der Fernuni Hagen berechtigt m.W. nicht zur Aufnahme einer approbationsfähigen Psychotherapieausbildung. Und die NCs ansonsten sind knüppelhoch.
Nein, der andere Input stammt nicht von mir.
Zu Hagen:
„Die FernUniversität ist bundesweit die einzige Universität, die einen konsekutiven B.Sc./M.Sc.-Studiengang in Psychologie ohne Zulassungsbegrenzung anbietet. Im laufenden Sommersemester 2015 studieren in den beiden Studiengängen mehr als 15.000 Studierende. Zum Vergleich: Im Wintersemester 2013/14 gab es insgesamt 60.307 Psychologiestudierende in Deutschland (Quelle: Statistisches Bundesamt). In jedem Semester schreiben sich in Hagen 2.500 bis 3.500 neue Psychologiestudierende ein – eine auf hohem Niveau konstante Zahl. Diese enorme Nachfrage führt zu einer hohen Belastung der verfügbaren Lehrkapazitäten. Die FernUniversität legt größten Wert darauf, die hohen nationalen Standards der psychologischen Fachgesellschaften für das fachliche Curriculum nachhaltig zu sichern.“ (Quelle: Homepage der Fernuni Hagen)
Mit einem Abschluss an der Uni Hagen ist man nicht berechtigt,eine psychotherapeutische Ausbildung zu absolvieren. Deswegen ist dieser Punkt irrelevant.
Vermutlich weil das Fach klinische Psych. dort im Studium gar nicht gelehrt wird.
Hab den Artikel nur kurz überflogen. War doch ganz schön lang und vieles kenne ich auch selber aus eigener Erfahrung. Ich habe seit 2015 meine Approbation und mich während der Ausbildung mit der politischen Situation auseinandergesetzt.
Ich hatte das Glück an einer Klinik zu arbeiten an der Psychologen und Assistenzärzte gleichberechtigt gearbeitet haben. Teilweise wurden gerade Psychologen für Ihre therapeutische Arbeit höher geschätzt als Ärzte, eben weil Psychologen schon vielfältige Erfahrungen aus Praktika und Studium mitbringen. Es ist also möglich mit der Gleichberechtigung wenn man denn ehrlich ist und versucht Psychotherapie in einer Psychiatrie zu machen.
Auch die Bezahlung war fast gleich. Natürlich verschreiben Ärzte Medikamente und machen Dienste. Aber das ist eben auch ein Nachteil zB bei der Kontinuierlichen Behandlung wenn man als Arzt mal da ist und mal nicht.
Das zeigt es geht und es gibt Orte an denen es anders läuft. Auf der anderen Seite frag ich mich weshalb alle in die großen Städte drängen für Ihre Ausbildung. Ich habe mir mal den Spaß gemacht und ausgerechnet wie sich die Pia Verteilung zur Bevölkerungsverteilung verhält. Und tada: zB in Berlin Sind Pia übermäßig konzentriert. Kein Wunder dass die Kliniken und Institutionen nicht im geringsten daran denken was zu ändern. Also müssen wir uns selber an die Nase fassen. Abstimmung mit den Füßen nennt man das. Damit tun wir uns selber einfach keinen Gefallen.
Damit will ich nicht die miese Situation rechtfertigen sondern darauf hinweisen dass man zum Beispiel auf dem Land eine recht gute Position in Sachen Gehalt hat. Dort wird gezählt weil nicht genug Leute kommen. Aber dann kann man eben nicht mehr cool im Mauerpark abhängen…
Ich kann jedem empfehlen sich solange sie flexibel ist einen Ort zu suchen an dem anständig bezahlt wird. Das macht so viel mit deinem Selbstverständnis und deinem Selbstwertgefühl als Therapeut dass du davon lange zehren wirst können.
Ein zweites Phänomen sehe ich auf Seiten der Pias. Ich nenne es mal „lieb sein“. Wir Pias wollen bloß nicht anecken und mit allen Harmonie haben. Deshalb find ich Esthers Sachen so toll. Sie eckt an macht Fronten auf. Das brauchen wir. Wir haben nix auf die liebe Tour erreicht. Werden wir auch nicht. Wir müssen Drück machen. Viel Druck. Und das wird einigen Leuten nicht gefallen. Aber es ist notwendig. Den Finger in die Wunde legen bis es schmerzt und dann noch weiter rein. Streiks, Protestaktionen, Boykotts, Klagen,… alles was maximale Aufmerksamkeit erregt und maximal negativen Impact auf die Ausbeuter. Es muss weh tun. So wie es für Kliniken weh tut wenn sie verklagt werden.
Meine (traurige) Prognose: Es wird sich auch die nächsten Jahre wenig daran ändern. Alle verdienen gut daran. Die Pias zahlen artig ihre Beiträge und gehen für lau schuften…
Außer wir wachen auf und wehren uns mit Klagen, Streiks und nerven die Akteure so lange bis sie unseren Forderungen nachgeben. (So wie Ärzte es machen würden…)
Auf geht’s!
Lieber Sandro! Danke erstmal für den Input. Bzgl. der Stadtsituation kann ich sagen: Ich hab zwar im Mauerpark abgehangen, bin dann aber täglich 2,5 Stunden gependelt, um aufs besagte Land zu fahren, um dann ein fürstliches Gehalt in Höhe von 1300 brutto zu erhalten für meine 40-Stunden-Woche als einzige Psychologin auf der Station. Die Lösung kann nicht darin bestehen, aufs Land auszuwandern, zumal, wenn alle oder viele dies täten, ja auch Verschiebungen in Richtung Angebot und Nachfrage entstehen würden. Also, ich schließe mich eher deinen letzten Worten an: Unbequem sein. 🙂
Ich hatte 2016/17 Vorstellungsgespräche als PiA und zwar in besagten „ländlichen Gegenden“ im bayerischen Raum. Das angebotene Praktikumsentgelt lag zwischen 0 und 560€. Wenn man bedenkt, dass in diesen Gegenden ein Auto (neben Wohnung und Lebensunterhalt) zwingend erforderlich ist, würde ich auch nicht sagen, dass man davon gut leben kann.
Liebe Sandro,
ich wundere mich gerade etwas über den Ton, mit dem du über PiAs, die in Großstädten wohnen, sprichst. Erstens ist es ja wohl nicht die Schuld derer, die in Großstädten wohnen, dass Kliniken dies schamlos ausnutzen. Zweitens ist es meiner Meinung nach ziemlich viel verlangt, aufs Land zu ziehen, nur damit man normales, der Ausbildung entsprechendes Gehalt bekommt, vor allem wenn man alleinstehend ist. Es ist bei mir zwar gerade noch nicht aktuell, da ich noch promoviere, aber wahrscheinlich möchte ich irgendwann die Ausbildung machen. Deshalb habe ich schon darüber nachgedacht: prekär in der Großstadt, wo man Freunde hat, oder mit angemessenem Gehalt alleine in der Pampa. Und da frage ich mich schon, was mir wichtiger ist, Anschluss, Freundschaft, psychische Gesundheit (ich weiß, was Einsamkeit so antun kann) und natürlich das Angebot einer Großstadt, oder eben gute Bezahlung.
Es geht also nicht nur darum, „im Mauerpark abzuhängen“. Obwohl ich das natürlich machen würde. Mit guten Freunden.
Ich glaube Sandro hat es eher als Tipp gemeint…
Hey Esther.
Differenzierter Artikel. Danke dafür.
Wie war es in deinem Fall mit der Anerkennung des Praktikums? Meine Info ist dass die erfolgreichen Kläger das Praktikum nicht anerkannt bekommen haben.
Hey Alex. In meinem Urteil steht geschrieben, dass die Tatsache, dass ich die Bescheinigung über Praktikumsstunden erhalten habe, nichts daran ändert, dass sich Ausbildung und Arbeitstätig nicht ausschließen. Eine Anerkennung war dennoch bei mir nicht mehr notwendig, da ich mich im Anschluss an diesen Teil meines praktischen Jahrs gegen die Weiterführung der Ausbildung entschlossen habe. Ich meine aber, mir sind die wenigen Gerichtsurteile der anderen PIA bekannt und niemand hat aufgrund des Erfolgs die Approbation nicht erhalten können. Ich halte das auch für ein Gerücht, das (so habe ich es bei einer Bekannten erlebt), sogar im Gerichtsprozess dreisterweise von der Klinik als Drohung in den Raum gestellt wurde (im Falle, dass die Klägerin gewinnt, würde man sie bei der Approbationsbehörde melden). Da das Psychotherapeutengesetz diesbzgl. gerade so unkonkret bleibt und in Bezug auf die Bezahlung und anderes nichts regelt, kann es nur rechtswidrig sein, bezahlte Arbeitstätigkeit in Kliniken, die mit einer intensiven Erfahrungssammlung einhergeht, nicht als praktische Tätigkeit anzuerkennen. Wenn du aber anderes, konkretes weißt, schreibt mich gerne an, diese Infos hätte ich dann auch gerne. LG Esther
Liebe Esther,
vielen Dank für die klaren Worte! Ich bin selbst PiA und spüre diese Zerrissenheit jeden Tag: Ich bin unzufrieden mit meiner (unserer) Situation und halte selbst aus Angst viel zu oft die Füße still. Ich teile (fast) alle deiner Bedenken (und einiger Kommentatoren) und hoffe sehr, dass wir gemeinsam mit den anderen helfenden Berufsgruppen (Ärzte, Sozialarbeiter, nicht approbierte Psychologen, Kunst- und Ergotherapeuten…) mutig für eine Verbesserung der Arbeitswelt kämpfen!
Psychotherapeuten in Ausbeutung (PiA) II - Der Klageweg - esther schreibt
[…] dem Thema habe ich vor einer Weile schon einmal meine Gedanken in diesem Beitrag […]